Die visuelle Geschichte der britischen Militärluftfahrt ist untrennbar mit den komplexen geopolitischen und technologischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts verbunden. Während die Royal Air Force (RAF) mit ihren ikonischen "Temperate Land Schemes" – jenen erdigen Braun- und Grüntönen, die über den Feldern von Kent und Sussex Geschichte schrieben – das kollektive Gedächtnis dominiert, existierte parallel dazu eine zweite, ebenso bedeutende Welt der Tarnung: jene der maritimen Luftkriegsführung. Diese Sphäre, bewohnt vom Fleet Air Arm (FAA) der Royal Navy und dem Coastal Command der RAF, erforderte eine völlig eigenständige Herangehensweise an die visuelle Tarnung. Das Meer ist kein statischer Hintergrund wie Ackerland oder Wüste; es ist ein dynamisches, lichtbrechendes Medium, das je nach Wetter, Tiefe und Breitengrad seine Farbe von tiefem Indigo bis zu bleiernem Grau oder gleißendem Weiß verändert.(1)
Dieser Bericht widmet sich der erschöpfenden Analyse dieser maritimen Anstriche. Er verfolgt nicht nur das Ziel, die historischen Farben und Muster zu katalogisieren, sondern auch deren taktische Raison d'être zu beleuchten. Warum wurde ein Flugzeug weiß gestrichen, um U-Boote zu jagen? Warum nutzten Doppeldecker vier verschiedene Grautöne auf ihren Tragflächen, während Eindecker nur zwei benötigten? Und wie spiegelte sich der Einfluss der amerikanischen Leih- und Pachtverträge (Lend-Lease) in der britischen Farbpalette wider?
Darüber hinaus schlägt dieser Bericht eine Brücke von der historischen Forschung zur praktischen Anwendung im Modellbau. Die Replikation dieser historischen Farbtöne stellt Modellbauer vor Herausforderungen, insbesondere wenn moderne Acrylsysteme wie Revell Aqua Color verwendet werden, deren Palette primär auf modernen RAL-Standards basiert und nicht auf den historischen Standards des britischen Ministry of Aircraft Production (MAP) oder den British Standard (BS) 381C Kodierungen.(3)
Die Evolution der Standards: BS 381C und MAP
Um die Anstriche der britischen Flugzeuge zu verstehen, muss man zunächst die bürokratischen und industriellen Standards verstehen, die ihnen zugrunde lagen. Vor 1940 basierten viele Farben auf dem British Standard BS 381, der 1930 eingeführt wurde. Mit Ausbruch des Krieges übernahm das Ministry of Aircraft Production (MAP) die Kontrolle und spezifizierte eigene Farbtöne, die oft keine direkten Entsprechungen im zivilen BS-System hatten.(3) Diese Unterscheidung ist entscheidend: Ein "Dark Earth" der RAF war ein spezifischer MAP-Ton, der nicht zwingend identisch mit einem ähnlich benannten Braunton im BS-System war. Nach dem Krieg, im Jahr 1948, wurden viele dieser MAP-Kriegsfarben in den revidierten BS 381C Standard integriert, was die Forschung für Historiker erleichtert, aber auch Fallstricke birgt, da sich chemische Zusammensetzungen und Pigmente über die Jahrzehnte änderten.(3)
Im Kontext dieses Berichts werden wir uns primär auf die MAP-Bezeichnungen für die Kriegsjahre und die BS-Nummern für die Nachkriegszeit beziehen, wobei stets die Umsetzung in das Revell-System im Fokus steht.
Der Fleet Air Arm (FAA)
Die Entwicklung der trägergestützten Tarnung
Der Fleet Air Arm, die Marinefliegerkomponente der Royal Navy, operierte unter Bedingungen, die das Material und die Besatzungen bis an die Grenzen belasteten. Salzkorrosion, begrenzter Platz auf Flugzeugträgern und weltweite Einsätze von der Arktis bis zum tropischen Pazifik prägten die Anforderungen an die Flugzeuganstriche.
Die Vorkriegsära
Silber und Cerrux Grey
In den Jahren zwischen den Weltkriegen präsentierten sich die Flugzeuge des FAA oft in einer gut sichtbaren, ungetarnten Ästhetik. Der Rumpf war häufig in Metalloptik (Silber lackiert oder Naturmetall) gehalten, während die Stoffbespannungen mit Aluminium-Dope behandelt wurden. Metallteile wurden oft in einem hellen Grau, dem sogenannten Cerrux Grey, geschützt.(1) Diese Sichtbarkeit hatte einen pragmatischen Grund: Sollte ein Flugzeug auf hoher See notwassern müssen, erhöhte eine helle, reflektierende Farbe die Chance, von Rettungsmannschaften entdeckt zu werden, signifikant. Bunte Einheitsmarkierungen auf dem Rumpf und den oberen Tragflächen dienten der Identifikation und stärkten die Moral.(1)
Mit dem Münchener Abkommen 1938 und der wachsenden Bedrohung durch die Luftwaffe begann jedoch ein Umdenken. Die Sichtbarkeit, einst ein Sicherheitsmerkmal, wurde zur tödlichen Gefahr. Die Admiralität ordnete die Einführung von Tarnschemata an, die sich spezifisch an den maritimen Gegebenheiten orientierten.
Das "Temperate Sea Scheme" (TSS)
Das Rückgrat der Marinefliegerei
Das Temperate Sea Scheme (TSS) ist das fundamentalste Farbschema für jeden Modellbauer, der sich mit britischen Marineflugzeugen befasst. Es wurde entwickelt, um über den Gewässern des Nordatlantiks und der Nordsee ("Gemäßigte Seezone") maximale Tarnung zu bieten. Im Gegensatz zu den erdigen Tönen der Landtarnung setzte das TSS auf eine Kombination aus Blau-Grau und Grün-Grau.(1)
Die Oberseitenfarben
Die Oberseiten aller FAA-Flugzeuge im TSS bestanden aus zwei Farben, die in einem disruptiven Wellenmuster aufgebracht wurden:
- Extra Dark Sea Grey (MAP): Ein sehr dunkles, fast schieferartiges Blaugrau. Es diente dazu, das Flugzeug gegen das tiefe, dunkle Wasser des offenen Ozeans zu tarnen. Spektrometrische Analysen zeigen, dass diese Farbe im frischen Zustand einen deutlichen Blaustich hatte, der jedoch unter UV-Strahlung schnell zu einem neutraleren Dunkelgrau verblasste.(6)
- Dark Slate Grey (MAP): Der Name ist irreführend, da es sich faktisch um ein dunkles Olivgrün handelt. Dieses Grün sollte die Färbung des Wassers in flacheren Küstenzonen, Flussmündungen oder bei bestimmtem Lichteinfall (Algenblüte, Reflexionen) imitieren. Zusammen brachen diese beiden Farben die Kontur des Flugzeugs auf und erschwerten die visuelle Erfassung durch feindliche Jagdflugzeuge, die von oben angriffen.(5)
Die Evolution der Unterseiten
Von Sky Grey zu Sky Type S
Die Unterseitenfarben durchliefen eine signifikante Evolution, die oft zu Verwirrung bei Modellbauern führt.
- Phase 1: Sky Grey (bis ca. 1940): In den frühen Kriegsmonaten waren die Unterseiten und oft auch die vertikalen Rumpfseiten in Sky Grey gehalten, einem hellen, neutralen Grau ohne Blau- oder Grünanteile.(3)
- Phase 2: Sky Type S (ab 1940/41): Mit der Standardisierung durch das MAP wurde Sky (spezifiziert als "Type S" für "Smooth", um die glatte Oberflächenbeschaffenheit zu kennzeichnen) eingeführt. Dies ist der berühmte "Duck Egg Blue"-Ton – ein blasses, grünliches Blau, das je nach Hersteller leicht variieren konnte, aber stets einen charakteristischen Pastellton aufwies.(5)
Es gibt dokumentierte Fälle, in denen während der Übergangsphase (z.B. Schlacht um Norwegen, Angriff auf Taranto) improvisierte Mischungen verwendet wurden. Insbesondere bei der Einführung von Sky kam es zu Engpässen, weshalb Befehlshaber teilweise anwiesen, eigene Mischungen ("Eau de Nil" oder ähnliches) zu verwenden, bis die Standardfarbe verfügbar war. Manche Einheiten malten auch die Backbordseite der Unterseite Schwarz und die Steuerbordseite Weiß (zur Freund-Feind-Erkennung durch Flak), bevor sich Sky flächendeckend durchsetzte.(8)
Das "Shadow Shading" bei Doppeldeckern
Ein faszinierendes und technisch anspruchsvolles Detail der FAA-Tarnung betrifft die Doppeldecker, wie die Fairey Swordfish, Fairey Albacore und Supermarine Walrus. Da der obere Flügel bei Sonnenlicht einen harten Schatten auf den unteren Flügel wirft, würde der untere Flügel bei identischer Lackierung deutlich dunkler erscheinen als der obere, was die Tarnwirkung durch den entstehenden Kontrast zunichte machen würde.
Um dieses physikalische Phänomen auszugleichen, entwickelte das MAP das Shadow Shading (Schattenkompensations-Schema). Dies erforderte die Verwendung von zwei zusätzlichen, helleren Farben für den unteren Flügel.(9)
Das Schema im Detail:
- Oberer Flügel (Oberseite) & Rumpfrücken:
- Extra Dark Sea Grey
- Dark Slate Grey
- Unterer Flügel (Oberseite):
Für den Modellbauer bedeutet dies, dass für eine korrekte Swordfish vier verschiedene Farben für die Oberseite benötigt werden, nicht nur zwei. Die Rumpfseiten wurden oft in den helleren Tönen (Dark Sea Grey / Light Slate Grey) lackiert, um auch dort den Schattenwurf der oberen Tragfläche auszugleichen, wobei die Muster nahtlos in die dunkleren Töne des Rumpfrückens übergingen.(10) Dies ist ein Merkmal, das bei vielen Museumsrestaurationen falsch dargestellt wird, aber auf zeitgenössischen Farbfotos und in den technischen Anweisungen (Air Ministry Orders) klar belegt ist.
Lend-Lease und das ANA-Farben-Dilemma
Ab 1941 erhielt der Fleet Air Arm tausende Flugzeuge aus US-Produktion: Grumman Martlet (Wildcat), Hellcat, Avenger und Vought Corsair. Diese Flugzeuge wurden in den USA lackiert, bevor sie verschifft wurden. Die US-Hersteller verwendeten Farben aus dem ANA (Army-Navy Aeronautical) System, die als Substitute für die britischen MAP-Farben dienten.(6)
Die Übereinstimmung war gut, aber nicht perfekt. Dies führt zu subtilen, aber sichtbaren Unterschieden:
- Ersatz für Extra Dark Sea Grey: Die USA nutzten oft ANA 603 Sea Gray. Dieser Ton war etwas heller und weniger blaustichig als das britische Original.(6)
- Ersatz für Dark Slate Grey: Hier kam ANA 613 Olive Drab zum Einsatz. Dieser Ton war oft brauner als das grünliche britische Slate Grey.(6)
- Ersatz für Sky: Das amerikanische ANA 610 Sky wird oft als etwas grauer beschrieben als das britische "Duck Egg Blue".(6)
Ein Modell einer Grumman Martlet sollte daher farblich leicht anders nuanciert sein als das einer Hawker Sea Hurricane, um diese historische Realität der Lieferketten widerzuspiegeln. Später im Krieg wurden viele US-Flugzeuge im Standard US Navy Anstrich (Glossy Sea Blue über alles oder das Dreifarb-Schema) geliefert und vom FAA so übernommen, um Umlackierungskosten zu sparen.(14)
Die British Pacific Fleet (BPF)
Anpassung an den totalen Krieg
Mit der Verlegung der britischen Flotte in den Pazifik 1944/45 (Operation Meridian, Okinawa) änderte sich das visuelle Erscheinungsbild erneut.
Der rote Punkt in der Mitte der Kokarden (Roundels) wurde entfernt, um Verwechslungen mit der japanischen "Hinomaru" (Rote Sonne) zu vermeiden. Übrig blieb ein blauer Ring mit weißem Zentrum, oft ergänzt durch weiße rechteckige "Bars" an den Seiten, ähnlich den US-Markierungen.(16)
Während viele Flugzeuge ihr TSS oder US-Anstrich behielten, wurde bei einigen Typen (wie der Firefly oder Avenger) zu einem einfacheren Schema übergegangen oder amerikanische Farben wie Glossy Sea Blue flächendeckend eingesetzt.(14)
Das RAF Coastal Command
Jäger über dem Atlantik
Das Coastal Command der RAF hatte eine der härtesten Aufgaben des Krieges: Den Schutz der Konvois und die Jagd auf deutsche U-Boote. Die Tarnphilosophie entwickelte sich hier von Land-Standards zu hochspezialisierten maritimen Lösungen.
Vom Land zum Meer
Zu Kriegsbeginn trugen Flugzeuge des Coastal Command (z.B. Avro Anson, Lockheed Hudson) oft noch das Temperate Land Scheme (Dark Earth / Dark Green) auf der Oberseite, da sie oft von Landbasen operierten. Doch schnell wurde erkannt, dass "Dark Earth" (Dunkle Erde) über dem Meer extrem auffällig war. Man begann, Dark Earth durch Extra Dark Sea Grey oder Dark Slate Grey zu ersetzen, was zu diversen Misch-Schemata führte, bis das Temperate Sea Scheme (wie beim FAA) standardisiert wurde.(5)
Das "Coastal White" (ASW) Schema
Der größte Beitrag des Coastal Command zur Tarntechnik war das weiße U-Jagd-Schema (Scheme A). Taktische Analysen zeigten, dass ein dunkles Flugzeug (selbst mit Sky-Unterseite) gegen den hellen Himmel als dunkle Silhouette erschien, lange bevor es in Angriffsreichweite auf ein aufgetauchtes U-Boot kam. Um den U-Boot-Wachposten keine Kontrastfläche zu bieten, musste das Flugzeug so hell wie möglich sein.2Das Resultat war ein radikales Schema für Flugzeuge wie die B-24 Liberator, Sunderland, Halifax und Wellington:
- Oberseite: Nur noch Extra Dark Sea Grey (das Dark Slate Grey entfiel oft in späteren Kriegsjahren, um Gewicht und Zeit zu sparen).
- Seitenflächen: Matt Weiß. Die vertikalen Flächen mussten matt sein, um Spiegelungen der Sonne zu vermeiden, die wie ein Signalfeuer gewirkt hätten.(17)
- Unterseiten: Glänzend Weiß (Gloss White). Dies war entscheidend. In geringer Höhe über dem Wasser reflektiert die Unterseite das Licht des Himmels, das vom Wasser zurückgeworfen wird. Ein glänzender Anstrich minimierte den Eigenschatten des Rumpfes durch Gegenlichtreflexion ("Counter-Shading" durch Licht).(17)
Dieses Schema erforderte eine scharfe Trennlinie an den Flanken, die oft wellenförmig verlief. Für den Modellbauer ist der Unterschied zwischen dem matten Weiß an den Flanken und dem glänzenden Weiß am Bauch ein subtiles Detail, das jedoch historisch belegt ist und dem Modell eine enorme Tiefenwirkung verleiht.
Special Duties und Strike Wings
Nicht alle Flugzeuge jagten U-Boote. Die "Strike Wings" (z.B. Beaufighter und Mosquito in Banff, Schottland) griffen feindliche Schiffe mit Raketen und Torpedos an.
- Oberseite: Extra Dark Sea Grey (Overall auf der Oberseite).
- Unterseite: Oft Sky oder später auch Extra Dark Sea Grey (Wrap-around), um im Tiefflug vor dem dunklen Wasser schwerer erkennbar zu sein.
- Invasionsstreifen: Ab Juni 1944 trugen fast alle Coastal Command Flugzeuge die schwarz-weißen Invasionsstreifen, was zu einer sehr unruhigen, aber historisch faszinierenden Optik führte.(17)
Die Umsetzung mit Revell Aqua Color
Die Nutzung von Revell Aqua Color für diese historischen Anstriche ist eine Herausforderung, da Revell primär RAL-Töne (Reichs-Ausschuss für Lieferbedingungen) und moderne Standards führt, die oft nicht deckungsgleich mit den britischen BS/MAP-Tönen sind. Ein "Dunkelgrün" nach RAL 6020 ist chemisch und optisch nicht dasselbe wie ein MAP "Dark Slate Grey". Dennoch lässt sich durch präzises Mischen ein hervorragendes Ergebnis erzielen.
Die folgenden Mischungen basieren auf visuellen Vergleichen mit Farbkarten, Spektrometerdaten aus Forenanalysen und Erfahrungswerten erfahrener Modellbauer.20
Die Große Britische Mischtabelle (Revell Aqua)
Diese Tabelle ist das Herzstück der technischen Umsetzung. Sie bietet Mischanleitungen für die wichtigsten Farben des FAA und Coastal Command. Du findest alle Farbtöne und Mischanleitung mit weiteren Informationen in unserem interaktiven Farbfinder.
Fazit
Die Darstellung britischer Marine- und Küstenflieger ist eine der lohnendsten Aufgaben im Modellbau. Sie bricht mit der Monotonie der Standard-RAF-Farben und erfordert ein tiefes Verständnis für die Interaktion von Licht, Farbe und Material im maritimen Umfeld.
Obwohl Revell Aqua Color nicht mit dedizierten Farbsets für diese Nische aufwartet, beweist dieser Bericht, dass das System flexibel genug ist, um mit den richtigen Mischrezepten extrem akkurate Ergebnisse zu liefern. Der Schlüssel liegt in der Abkehr vom reinen "Malen nach Zahlen" hin zu einem chemischen und historischen Verständnis der Farbe. Wer die Mühe auf sich nimmt, Extra Dark Sea Grey korrekt abzumischen und das komplexe Shadow Shading einer Swordfish zu replizieren, wird mit einem Modell belohnt, das nicht nur handwerklich überzeugt, sondern auch die Geschichte des Luftkrieges über See authentisch erzählt.
Welches Flugzeug der FAA oder des RAF Coastal Command wirst du mit diesen Informationen bauen? Schreib es mir in den Kommentaren :)










Great read again!
AntwortenLöschenThank you very much :) Your feedback is important for me and is much appreciated.
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